Resonanzboden
In den vorigen Abschnitten ist bereits einiges über
die Klang-eigenschaften des Saitendrahtes gesagt worden. Seine
schwachen Töne, die er beim Schwingen von sich gibt, bedürfen
einer an-gemessenen Abstrahlung durch ein mitschwingendes System.In
Klavieren übernimmt diese Funktion eine großflächige
Holz-platte, der Resonanzboden. Ehe aber der Resonanzboden und
seine Funktion im Instrument betrachtet werden, ein Blick in die
Akustik, die sich seit mehreren hundert Jahren mit den Schwingungen,
auch von Platten, beschäftigt.Intensiv hat sich bereits vor
200 Jahren der Naturforscher Ernst F. Chladni mit den Schwingungen
von Platten befaßt. Er gilt als Begründer einer auf
Experimenten beruhenden wissenschaft-lichen Akustik. In diesem
Zusammenhang ist sein Name heute bekannt durch die sogenannten
Chladnischen Klangfiguren (Bild 4/7).
Bild 4/7. Einige der Chladnischen Klangfiguren |
Sie sind Abbilder der ihnen zugehörigen Schwingungen.
Chladni hatte die Schwingungen im Festkörper studiert und
fest-gestellt, daß Figuren entstehen, wenn man eine Metallplatte
mit feinem Sand bestreut und zu Eigenschwingungen veranlaßt.»Dieser
Mann läßt die Töne sehen«, soll Napoleon
zu den Ex-perimenten Chladnis gesagt haben. Und Julius Blüthner,
Ahn-herr der weltbekannten Flügel- und Pianofabrik in Leipzig,
schreibt in seinem bereits mehrfach zitierten Buch »Der
Piano-fortebau« unter anderem:..... indessen hat sich die
Hauptaufmerksamkeit der experimen-tierenden Physiker auf einen
anderen Gegenstand gerichtet, nämlich auf die Knotenlinien,
welche sich auf schwingenden Platten bilden. Um solche Knotenlinien
sichtbar zu machen, hat man nur nötig, die Platte mit feinem
trockenem Sande zu be-streuen; man bemerkt dann, wie beim Tönen
derselben die Sand-körnchen in die Höhe geschleudert,
d.h. von den schwingenden Teilchen fortgeworfen werden, während
sie sich an den Knoten-linien anhäufen. Zur Erzeugung dieser
Klangfiguren verwendet man Platten aus Glas, Metall oder dünnem
Holze ... um sie zum Tönen zu bringen, streicht man
sie am bequemsten an einer passenden Stelle des Randes mit dem
Violinbogen an... Uns interessiert hauptsächlich der Umstand,
daß eine Platte sehr viele Töne geben kann, und daß
jedem Tone eine andere Lage der Knoten-linien entspricht. Es ist
klar, daß mit wachsender Elastizität der Platte, ihre
Fähig-keit, sich in einzelne schwingende Stücke zu teilen,
zunimmt, und daß also eine sehr elastische Platte imstande
sein wird, mehr Töne zu geben, als eine weniger elastische..
.«. [7; 5. 148] Ergänzend sei noch erwähnt, welche
Schlußfolgerungen Dr. Oskar Paul in seinen Betrachtungen
über die Entwicklung des Klaviers zu diesem Thema beisteuert:
..... die sogenannten Chladnischen Klangfiguren entstehen, deren
Abdruck auf Papier Savart' in äußerst geschickter Weise
bewerkstelligte. Derselbe wandte nämlich statt des Sandes
Lackmus an ... wenn dieses farbige und hygroskopische Pulver auf
der Platte sich in den Knotenlinien angesammelt hat, so reicht
es hin, auf die Platte ein ... befeuchtetes Blatt Papier zu legen,
um die Figur durch einen leichten Druck auf demselben zu fixieren.
Auf diese Weise ist es Savart gelungen, mehrere Hundert solcher
Figuren der-selben Platte zu sammeln, welche verschiedenen Tönen
ent-sprechen. Daß diese Vielseitigkeit der Tonerregung günstig
ist, ja, daß ohne Resonanzplatte die Tonerregung bis zum
Minimum herabsinkt, können wir leicht erfahren, indem wir
eine Saite mit wenig Masse an irgend einen Körper, der nicht
sehr leicht zum Mitschwingen zu bewegen ist, spannen - z. B. an
eine massive Mauer - ... der Ton wird in diesem Falle schon in
geringer Ent-fernung nicht mehr zu hören sein. Verbinden
wir hingegen die nämliche Saite durch einen langen hölzernen
Leiter mit einem so entfernt als möglich stehenden Resonanzboden,
so wird der Ton sehr laut und zwar nicht von der Saite, sondern
vom Resonanzboden aus erschallen.. .«. [8; S.14-l5] Für
einen Klavierton ist allerdings eine Klangfigur auf dem Boden
nicht zu erzeugen, da die Gesamtheit möglicher Figuren zwar
angeregt wird, jedoch für den einzelnen Pianoton kein charakteristisches
Bild formt. Der Resonanzboden mit den darauf befestigten Stegen
dient dazu, Töne auf vielfältige Weise aufblühen
zu lassen und ohne Zusätze moderner Verstärkertechnik
abzustrahlen. Daher ist die Wahl des Materials für Resonanzböden
von aus-schlaggebender Bedeutung. Holz wird dafür bevorzugt,
um Ab-strahlen von Eigenschwingungen zu vermeiden und eine Reso-nanz
im Bereich von etwa 20 ... 5000 Hz für die Ubertragung der
Saitenschwingungen zu gewährleisten. Andere Materialien,
wie Metall, Plast usw., erwiesen sich bisher als ungeeignet. Klopft
man gegen eine Plastplatte, so vernimmt man einen stumpfen Ton,
während eine Platte aus Stahlblech einen schär-feren
Klang hat. Das Material weist eine verschiedenartige Dämpfung
auf. Der Ton verklingt trotz gleicher Anschlagstärke und
sonstiger äußerer Bedingungen unterschiedlich schnell.
Die Blechplatte klingt länger nach als die aus Plast. Dämpfung
kann auftreten als: 1. Verlustdämpfung, sie entsteht durch
innere Reibung des Materials, und 2. Strahlungsdämpfung,
die so benannte Übertragung der Schwingungsenergie an die
umgebende Luft, wobei sie in hör-bare Schallwellen umgesetzt
wird. Je leichter das Material, desto leichter kann es schwingen
und um so leichter erfolgt auch die Abgabe der Schwingungen an
die umgebende Luft. Bei einem Resonanzboden soll die Strahlungsdämpfung
groß, die Verlustdämpfung jedoch gering sein. Da Laubholz
eine ge-ringere Strahlungsdämpfung aufweist als Nadelholz,
werden überwiegend Zypressen-, Fichten- und Tannenhölzer
in Klaviere eingebaut. Im modernen Hammerklavier dominiert Fich-tenholz
als Resonanzboden. Die Gründe sind einleuchtend: Dieses Holz
ist regelmäßig strukturiert und langfaserig, in der
Farbe hellgelblich bis ocker, Späne und daraus gefertigte
Platten sind sehr elastisch. Fichten mit gerade verlaufendem feinen
Fadenwuchs und gleich-mäßiger Verteilung des Harzgehaltes
verfügen über hohe Elastizität und beste Klangeigenschaften.
Neben der, lange im Musikinstrumentenbau verwendeten, rumä-nischen
Bukowina-Fichte sind auch Resonanzhölzer aus der Sowjetunion,
den USA, Kanada usw. in urwaldartigen Bestän-den aufgewachsen
und daher unten astfrei, von großer Elastizi-tät und
gleichmäßigem anatomischen Bau. Da diese Bäume
auf kühlem, oft frostigem und vielfach mineralischem Boden
stan-den, vermochten sie die besten Eigenschaften auszubilden.
Es fehlen störende Gefäße, die Holzstrahlen sind
regelmäßig ver-teilt, die Faser ist lang und läuft
gerade. Besonders die Sibirische Resonanzholzfichte ergibt helle,
gleichmäßige Böden, wie sie z.B. in Förster-Flügeln
zu finden sind. Tonholz zeigt die beste Qualität, wenn es
im Winter, in der so-genannten Saftruhe geschlagen wird. Optisch
ansprechende Maserung und Farbe erfreuen den Nutzer, und Fleckenbildung,
Verwerfungen oder andere Mängel treten kaum auf. Die Fichtenstämme
werden schon am Einschlagsort in zweckmäßige Längen
geteilt, gestapelt und vorgetrocknet. Daran schließt sich
eine jahrelange Holztrockung im Freien an. Oftmals findet dieser
Prozeß nicht direkt beim Flügel- oder Piano-Hersteller
statt, sondern in speziellen Resonanzboden-werken. Der natürlichen
Trocknung folgt eine technische in Trockenkammern unter Warmluftzufuhr
(Bild 4/9). Langsam werden die Temperaturen erhöht und schrittweise
wieder ge-senkt. Die Fertigung des Resonanzbodens erfordert eine
fachmänni-sche Behandlung der ausgesuchten Hölzer. Die
einzelnen Teile, aus denen der Boden zusammengesetzt wird, nennt
man Späne. Sie bestehen aus radial gespaltenem Holz möglichst
nur eines Stammes, um einen homogenen, also gleichmäßig
zusammen-gesetzten, Resonanzboden zu erhalten. Derartige Bestrebungen
sind nicht neu. Der Leipziger Klavier-bauer Alfred Dolge hat schon
um 1900, als er nachAmerika aus gewandert war, dort homogenisierte
Böden hergestellt. An der nordamerikanischen Westküste
fand er Fichten, die ihm astreine Bretter in Längen von 20
Fuß und mehr als 6 Zoll Breite (zwei Handbreiten) lieferten.
Aus diesem Holz konnte er Reso-nanzböden mit einer außerordentlich
gleichmäßige Spann-kraft erzeugen Das Tonholz wird
von alters her radial aufgeschnitten, so daß aufrecht stehende
Jahrringe zu sehen sind. (Bild 4/10). Damit wird die beste Tragfähigkeit
gewährleistet. Dem Saitendruck kann später ein entsprechender
Widerstand entgegengesetzt werden. Tangential aufgeschnittenes
Holz splittert eher und ist infolge seiner Kurzbrüchigkeit
weniger für die Tonvermittlung geeignet. Nachdem Klangholz
ausgewählt, getrocknet und abgerichtet worden ist, beginnt
die eigentliche Arbeit des Bodenmachers. Größe und
Form des Instruments sind maßgebend für die Aus-wahl
der Späne. Für den Diskant wird möglichst Holz
mit engen, für den Baß solches mit breiten Jahrringen
verwendet. Es erweist sich als vorteilhaft, wenn man die einzelnen
Späne »ab-klingen« läßt. Der Span
wird dabei auf eine mittelharte Holz-platte abgeworfen und sein
Klangcharakter beurteilt. Es genügt aber auch ein leichtes
Klopfen gegen den Span, den man dazu lose herabhängen läßt.
Hell klingende werden überwiegend vom Diskant abwärts
verarbeitet, während dumpfere besser die Baß-partie
bilden. Die verschiedenen Flügelgrößen mit ihren
differierenden »Schwanzenden« bedürfen einer
Schablone zum Auflegen der einzelnen Späne: Sie werden zunächst
aneinandergepaßt, gefügt und dann mit Hilfe von Zwingen
und Zulagen geleimt. Die Fügestellen muß man durch
Vorwärmen oder andere Maß-nahmen besonders vorbereiten,
um einen Resonanzboden »wie aus einem Guß« zu
erhalten, der anschließend meist maschinell geschliffen
wird. Für die Dicke des Bodens gibt Blüthner 9 bis 11
mm an, Alfred Dolge 9 mm, Hansing 10 mm; bei neueren Bechstein-
und Steinway-Flügeln wurden maximal 10 mm ge-messen. Alte
Blüthner-Schriften merken überdies an, daß in
diesen In-strumenten die Dicke des Resonanzbodens von etwa 10
mm im Diskant zum Baß hin auf 8 mm abnimmt. Ähnliche
Größen-ordnungen sind auch bei anderen Markenfabrikaten
zu beobach-ten. Es gibt aber renommierte Hersteller, die dem Boden
an allen Seiten ein gleiches Maß geben.