Inharmonizität
2.2.1.1. Inharmonizität der Saite:
Je nach Durchmesser, Material und Saitenspannung besitzt die Saite
eine verminderte Flexibilität, eine bestimmte Steifigkeit.
Dadurch: Frequenzen der Eigenschwingungen werden angehoben, jedoch
höhere mehr als tiefere -> Teiltonreihe der Seite ist
nicht genau harmonisch, ist etwas gespreizt.
Solange die Steifigkeit gering ist, verhält sich die Teiltonreihe
nahezu harmonisch.
Je größer die Steifigkeit wird, desto mehr verhält
sich die Saite wie ein Metallstab
Die Inharmonizität ist bei den Tasteninstrumenten vorwiegend
für die Stimmtechnik an modernen Klavieren relevant. Ihre
physikalisch-akustischen Eigenschaften werden seit geraumer Zeit
wissenschaftlich untersucht. Hier kann nur kurz aus praktischer
Sicht erläutert werden, wie sich diese Erscheinung (besonders
beim Stimmen) bemerkbar macht: Infolge der Biegesteifigkeit von
Klaviersaitendraht kommt es zu einer Partialton verstimmung (
Inharmonizität). Wie in Abschnitt 3.1. beschrieben, bilden
schwingende Saiten zu ihren Grundtönen Teiltonreihen. Der
Grundton und die Folge von Obertönen bauen sich dabei in
ihren Frequenzen keineswegs durchweg im Verhältnis ganzer
Zahlen zueinander auf. Die Partialtöne entsprechen nicht
genau dem ganzzahlig Vielfachen der Grundfrequenz - sie liegen
immer etwas höher. Diese Differenz zwischen harmonischen
und tat-sächlichen Teiltonfrequenzen wird als Inharmonizität
bezeichnet. Bei den höheren Partialtönen erhöht
sich die Inharmonizität im Quadrat der Ordnungszahl des Teiltones.
Theoretisch sollte es sich zwar um eine arithmetische Reihe (1:
2: 3: 4...) handeln, aber die Biegesteifigkeit des Saitendrahtes
(oder andere Masse-Eigenschaften schwingender Körper) rufen
eine Verschiebung des Partialtonverhältnisses nach oben und
damit jene nicht harmonischen Oberwellen hervor. Zum Normalstimmton
a' = 440 Hz als Grund- oder erster Teilton hätte theoretisch
ein harmonischer zweiter Teilton die Frequenz 880 Hz. Tatsächlich
liegt sie aber um fast 2 cent1 höher; beim vierten Teilton
steht sie etwa 8 cent über 4 x 440 = 1760 Hz. Durch diese
Eigenschaft der Saiten - wozu auch die Begrenzungsfaktoren ihrer
schwingenden Länge gehören - muß im Diskant fortlaufend
etwas höher, im Baß kontinuierlich geringfügig
tiefer gestimmt werden, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen.2
Die Erscheinung ist den Klavierbauern und -stimmern nicht neu;
denn Julius Blüthner beschreibt dies bereits um die Jahrhundertwende
in seinem Fachbuch »Der Pianofortebau«, ohne den Ausdruck
»Inharmonizität« zu gebrauchen: ». . .
also stimmt man eigentlich nur in den mittleren Tonlagen genau
wie es die gleichschwebende Temperatur erfordert, während
man nach oben wie nach unten hin die Intervalle immer größer
werden läßt...«
Dieses »Aufspreizen« der Oktavbereiche beim Klavierstimmen
bis hoch zum a4 und weiter kann 5 ... 700 betragen und wird vom
menschlichen Ohr hörphysiologisch und musikalisch positiv
verwertet. Eine solche Spreizung brachten die Klavierstimmer früherer
Generationen in den von ihnen betreuten In-strumenten unbewußt
an, und ohne in das Problem der Inharmonizität wissenschaftlich
eingedrungen zu sein. So haben sie als Praktiker schon immer zur
Brillanz und Farbigkeit des Musizierens beigetragen. Stimmer der
jüngeren Generation »strecken« die Oktaven bereits
bewußt, weil sie sich mit dem Er-scheinungsbild der Inharmonizität
auseinandergesetzt haben. Eine »mathematische« Stimmung
hätte zunächst theoretisch eine gleichmäßig
verlaufende Kurve für die erwähnte Oktavspreizung aufzuweisen.
Messungen an praktischen Beispielen zeigen aber immer nur annähernd
solch »glatten« Verlauf, z.B. aus der Temperaturoktave
in den Diskant. Der Inharmonizitätsablauf ist nicht vorwiegend
gleichförmig. Abweichungen lassen sich dort messen, wo »wilde«
Saiten und andere bereits beschriebene Unzulänglichkeiten
die akustische Qualität eines Klaviers schmälern. Überwiegend
treten Sprünge im lnharmonizitätsverlauf beim Klein-
und Kleinstklavier auf, bei niedrigeren Instrumenten, um so stärker;
insbesondere hör- und elektronisch meßbar bei Pianos,
in denen diskantseitig schon vor der Kreuzung übersponnene
Saiten verwendet werden. Das ist u. a. ein Grund dafür, weshalb
seit Beginn der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts die Hersteller
wieder Instrumente der »Upright«-Klasse etwa 120cm
hoch und höher bauen. Verschiedene Hersteller bemühen
sich um ausgleichende Methoden, wobei das Gespinst im Übergang
wechselnd aus Kupfer oder Messing angefertigt wird. Das Klangergebnis
ist un-befriedigend, oft nicht einmal durch geschickte Intonation
zu verstecken und technologisch nicht zu rechtfertigen. Auch die
Fabrikate, in denen versucht wird, dem Übergangsbali mit
dreichörigen Kupfersaiten mehr »Gesang« zu geben,
bauen mit der dritten Saite für das Chorrein-Stimmen vielfach
ein zusätzliches Hindernis ein. Denn für die besponnenen
Saiten gibt es herbere Inharmonizitätsvarianten als beim
glatten Bezug. Beim umkupferten dominieren oft die oberen Partialtöne,
während der Grundton so gut wie abwesend ist. Auch dies kann
durch elektronische Messung eindeutig nachgewiesen werden.
100 cent sind ein Halbtonschritt in der
zwölftönig-gleichsiufigen Temperatur |