Klaviatur ( noch in Arbeit)
Den gesamten Satz aller 85 bis 88 Flügeltasten
bezeichnet man mit dem Sammelbegriff Klaviatur. Sie ist allerdings
nicht für das Klavier erfunden worden, sondern wurde von
der Orgel übernommen. Hier hatte sie sich lange bewährt
und entsprechend ausgereift entwickelt. Beim Vergleich eines Kielflügels
aus dein 17/18. Jahrhundert mit einem Konzertflügel heutiger
Produktion fällt auf, daß die Klaviatur des einen sozusagen
das negative Bild des anderen zu sein scheint: In den meisten
alten Kielflügeln waren die schmalen Obertasten (Halbtöne)
weiß und die breiteren lJntertasten dun-kel. Der Volksmund
behauptet, daß dadurch die »zarten Hände der
Spielerinnen« besser zu Geltung kämen. Hochwertige
So-listenflügel der Gegenwart haben auf den Untertasten Elfenbein-belag,
während die Halbtöne aus Ebenholz oder schwarzem Plast
bestehen. Jede Klaviatur muß in ihren Ausdehnungen, mit
den Tasten und ihren begrenzenden Leisten und Klötzen so
gestaltet sein daß sie für einen Erwachsenen gut spiel[,ar
ist. Arn,e, Hände uüd Finger sollen sich ohne Verkrampfung
zu jeder Taste bewegen können. Die physische Kraft der menschlichen
Extremitäten muß genügen, um Tasten (und ggf.
Pedale mit den Füßen) aus-reichend in Bewegung zu setzen.
Die hölzernen Tasten sind zweiarmige Hebel. Sie können
hei großen Flügeln bis fast 6Ocm lang sein, während
die neueren Kleinstklaviere manchmal schon mit Hebeln von weniger
als 35cm ausgerüstet sind. Wenn das Instrument nicht auseinander-genommen
ist, sieht der Laie bei geöffneter Tastenklappe aller-dings
nur knapp 15cm lange weiße und etwa lOcm lange schwarze
Tasten. Ein wesentlich längeres Stuck wirkt im Inne-ren.
Die (weißen) Lintertasten zeigen das Bild der diatonisehen
(C-Dur-) Skala c, d, e, f g, a, Ii, e' usw. Sie sind mit Elfenbein
oder geeigneten Plasten belegt. Die (schwarzen) Obertasten bestehen
vorwiegend aus Preßstoff, bei älteren Fliigeln aus
schwarz ge-färbten Nußbaumhölzern und bei noch
älteren, teueren Fabrika-ten aus Ebenholz und erzeugen die
Halbtöne cis, dis, fls, gis, als... Nun könnte man der
Meinung sein, daß die Tasten alle einzeln aus kleinen Leisten
gefertigt werden. .t». Hermann Matzke be-schreibt die Herstellung
so: »Für die Taste nimmt man gern mit der Axt gespaltenes
.. Fichtenholz, für die Bäckchen Linde, für den
Aufbau Rotbuche. Das Tastenholz muß, um jegliches Schlei-fen
mit der Nachbartaste zu vermeiden, besonders verzugsfrei sein.
Bild 4. Aufgesetzte Tasten-bäckchen a) findet man
vor-wiegend in Flügeln, während die eingelasscnc
Form b) im aufrechten Kleinklavier dominiert |
Es wird zunächst maschinell zu Tafeln gefügt,
wobei die Spiegel-seite die Oberseite der Klaviatur bildet. Nach
dem Verleimen er-folgt das Schneiden auf Größe und
das Verputzen auf die ge-wünschte Stärke.«. (1;
5.442) Diese Arbeiten werden schon seit langem in speziellen Werk-stätten
ausgeführt (Bilder 4 ). Dort sind die Zeich-nungen
und Klaviatur-Aufrisse der gängigenMarken vorhanden, und
nur in außergewöhnlichen Fällen muß - wie
vormals - ein genaues Tastenprolil, immer aber eine Teilungsleiste,
geliefert werden. Ei-st dann ist das Anreißen auf den Tafeln
sinnvoll. Die vorderen LangWoher werden mittels Bohrmaschinen
oder -automaten bereits in dieser Phase in die künftigen
Tasten eingebracht. Die Anfertigung des Klaviaturrahmens erfolgt
nahezu parallel mit dcii soeben beschriebenen Arbeitsgängen.
Deshalb muß an dieser Stelle eine Bemerkung dazu eingeschoben
werden: Die Klaviatur ist auf diesen hölzernen Rahmen aufgebaut.
Fr ist in den Flügeln beweglich, kann aber auch aus manchen
aufrecht stehenden .Pianos mit allen Tasten gleichzeitig herausgezogen
werden. - Verschiedene Kleinklaviermodelle haben den Klavia-turrahmen
rnjniittelbar auf dem Stuhlrahmen (Tablettboden) angeordnet. Die
Hölzer für den Klaviaturrahmen dürfen sich nicht
verziehen: man verwendet vorrangig Fichte und Kiefer. Wo die Leisten
des Rahmens besonders beansprucht werden, also an Stellen mit
Stiften, sind sie bei hochwertigen Instrumenten extra mit riß-freiem
Hartholz ausgefüttert. Von vorn nach hinten sind drei deutlich
sichtbare Leisten im Rahmen angeordnet, die als Auf-lagen für
die Tasten dienen. Das wichtigste Stück ist die Mittel-leiste.
der sogenannte Waagebalkcn, weil er den Hauptpunkt für die
Drehbewegung der Tasten abgibt. Dieser Waagebalken ist mit aufrecht
stehenden Metallstiften versehen, auf die jede ent-sprechend vertikal
durchbohrte Taste gesteckt wird. Auch die vordere Leiste des Rahmens
ist bestiftet. Die hier eingesetzten dickeren Metalldrähte
haben ein ovales Profil im Gegensatz zu den runden Waagebalkenstiften.
Auf der Vorderleiste dienen die Drähte nur dazu, den Tasten
eine korrekte Führung zu geben, damit sie kein zu großes
seitliches Spiel haben. Wie das dafür erforderliche längliche
Loch von unten in die Taste gebohrt wird, ist umseitig beschrieben:
Es ist bereits vorhanden, wenn die Tasten noch ungetrennt im Verband
der Holztafel ruhen. Im Inneren des instrurnentenkastens sind
die Tasten nicht mehr mit Natur- oder synthetischen Stoffen belegt.
Sie erhalten auch im »unsichtbaren« Bereich eine ganz
ändere Form als vorn. Beim kreuzsaitigen Flügel bzw.
Piano wird bei der Tastenteilung auf die Plattenspreizen Rücksicht
genommen. Au diesen Steilen spreizt sich auch der hintere Tastenverlauf
dergestalt, daß der End- und Angriffspunkt der Taste genau
unter dem zugehörigen Saitenchor liegt. Das bringt bei sehr
kleinen Instrumenten mit-unter ungewöhnliche Abwinkelungen
der Hintertasten mit sich. Diese verschiedenartigen Verläufe
werden auf der Tastentafel angerissen, die Tafel wird müden
Waagehalkenlöchern versehen. An dieser Stelle erhält
die Taste überdies eine Verstärkung. die man Bäckchen
nennt. Abschließend wird alles mit Feinsägen geteilt.
Tastenbäckchen gibt es in zweierlei Ausführungen: aufgesetzte
hrückenförmige oder eingelassene flache, die nicht mehr
über den geraden Tastenverlauf hinausragen (Bild 4/23.).
In beiden Fällen müssen die Bäckchen aus sehr festem
Holz sein. Sie sind für den Waagebalkenstift ebenfalls durchbohrt
und etwas läng-lich ausgearbeitet. Damit der Stift an dieser
Stelle gut paßt, wird der Bäckchenschlitz mit feinem
Leder oder Kaschmirtuch be-klebt. - Der fälschlich benutzte
Ausdruck »Kasimir« wird nicht mehr verwendet. Kaschmir
ist eine Landschaft in Indien, die dort produzierte sehr feine
Wolle hat danach ihren Namen. Auch die schon beschriebenen Vorderlöcher
in den Tasten wer-den damit ausgetucht. Je nach Größe
und technischer Ausstattung der Klaviaturen-werke sind die beschriebenen
Arbeitsgänge halb- oder voll-mechanisiert. Ihre Reihenfolge
weicht bei den einzelnen euro-päischen Herstellern leicht
voneinander ab. In tJbersee und Ja-pan werden verschiedentlich
andere Technologien angewandt, wobei es allerdings gleichgültig
ist, ob zuerst am Vordertasten-stift gearbeitet wird und dann
im Waagebalkenbereich oder umgekehrt. In allen Fällen entsteht
eine spielhare Klaviatur auf einem geraden Rahmen. Die Feinjustierung
wird erst beim Zusammensetzen am Instrument direkt vorgenommen
(vgl. Ab-schnitte 4.4. und 5.4.).