Mechanik (in Arbeit)
Während die Klaviatur seit ihrer Einführung
auf Orgel, Klavichord und Cembalo geringen Veränderungen
unterlag, hat sich in der Wirkungsweise des Getriebes - im Hammerklavier
vorwiegend Mechanik genannt - seit der Erfindung viel vervollkommnet.
Die Mechanik hat die Aufgabe, die Hämmer dem Willen des Spielers
entsprechend in Bewegung zu setzen und ihnen alle Modulationswünsche
des Künstlers im Hinblick auf Tonstärke und Tempo nach
dem Anschlag auf die Taste korrekt mitzuteilen.
Mechanik
Die einfache Taste allein bewirkt aber noch nicht
den Hammeranschlag im Flügel oder Piano. Dazwischengeschaltet
ist der weit-aus kompliziertere Apparat der Mechanik (mitunter
auch als Getriebe bezeichnet). Hersteller dieser Vorrichtungen
fertigen im Auftrag der lnstru-mentenmacher verschiedenste Mechanikcn
für Flügel nach fol-genden Angaben: 1. Einfahrtshöhe
von der Oberkante des Stuhlrahmens bis zur Unterkante des Stimmstocks.
- Beim Flügel verschwindet der technische Mechanismus in
der Spiellade.2. (iesamttiefe, auch Dammtiefe genannt; von der
Zier- oder Schlol3leisten-[nnenseite bis zum Rastendamm. - Am
Damm muß Platz für die Dämpferklötze und
ihre senkrechten Drähte bleiben. 3. Saitenverlauf und Saitenschräge
in der Hainmeranschlaglinie und daraus abgeleitet: Standort der
sogenannten Mechanikbak-ken. - Aufbau der Hämmer und damit
der Mechanikteile er-folgt gruppenweiseje nach Art der Kreuzsaitigkeit
und Form der akustischen Anlage. 4. Anschlaghöhe von Stuhlbodenoberfläche
bis Diskantsaiten-Unterkante sowie bis Baßsaiten-Unterkante.
- Die über den Diskantbezug laufenden Baßsaiten liegen
entsprechend höher. 5. Anschlagtiefc von Zierleisten-Innenkante
bis zur lotrechten Verlängerung des Anschlagpunktes an der
Saite. - Es muß Be-wegungsfreiheit für Hammerkopf und
Hammerschwanz zwi-schen Fänger und Hammerleiste bleiben.6.
Chorverhältnis zeigt an, wo und wie viele drei-, zwei- und
ein-chörige Saiten angeordnet werden. - Es gibt Diskantpartien,
die kurz vor der Kreuzung nur zweichörig sind. Dagegen ist
aber auch verschiedentlich im Übergang dreichöriger
Baßbezug zu finden. Die Mechaniken-Industrie hat ihre Erzeugnisse
zu derartiger Vollkommenheit gebracht, daß unter den zierlichen
Mechanik-gliedern Maßhaltigkeiten bis zu Zehntel-Millimetern,
stellen-weise noch darunter, gewährleistet werden. Dazu sind
natürlich bestgepflegte und absolut trockene Hölzer
notwendig. (Fertig aufgebaute Flügelmechaniken liefert der
Spezialhersteller, Bild 4/24.) Diese mannigfaltigen Teilchen im
Innern der Mechanik werden auch Figuren genannt. Dazu gehören
u. a. das Hebeglied (9) mit gepolstertem Sattel (10), die Stoßzunge
(II), der Repetierschen-kel (12), der Fänger (37), der Dämpferarm
(17) mit Dämpfer-klotz (19) und zahlreiche Kapseln und sogenannte
Puppen. Die Ziffern in Klammern stimmen mit der Bezifferung im
Mechanik-bild (s. Bild 15/1) überein.Für die Herstellung
dieser Figuren werden Holztafeln, haupt-sächlich aus Weißbuchenhrettchen
verleimt, gehobelt und ge-schliffen. Aus diesen Tafeln schneidet,
fräst oder stanzt man das jeweilige Profil aus. Mit Präzisionskreissägen
wird der profilierte Block »in Scheiben geschnitten«,
wodurch die einzelnen Figuren entstehen. Außer Holz spielt
das schon erwähnte Tuch in der Mechanik eine große
Rolle. Zahlreiche Stellen müssen damit versehen werden. Es
darf nichts reiben oder klappern, wenn die Mechanik in Gang gesetzt
wird. Darum ist beispielsweise das Achsen oder Spindeln ein Vorgang,
der größtmögliche Genauigkeit er-fordert. Die
Figuren in der Mechanik vollbringen eine große Anzahl von
Drehbewegungen. Diese erfolgen vorwiegend um dünne metallene
Achsen. Der Achsdraht kann nicht einfach in die Holzfigur durch
entsprechende Bohrungen gesteckt werden; dies würde unweigerlich
ein Klappern verursachen. Also muß zu-erst das Bohrloch
ausgetucht und in die entstandene weiche Buchse der Achsdraht
geschoben werden, oftmals gleich für eine ganze Reihe von
Figuren oder Kapseln. Es gibt aber auch Auto-maten, die nur einen
kurzen angespitzten Stift einspindeln. Wichtig ist bei beiden
Verfahren, daß die Ränder des Tuches nicht an einer
Stelle liegen, wo ein kontinuierlich starker Achs-druck vorherrscht.
Es versteht sich von selbst, daß die verwendeten Tuche und
Filze nur erstklassige Qualität haben dürfen und daraufhin
ständig in Stichproben oder Inventuren kontrolliert werden;
denn ein Dämpferfilz, der nicht dämpft, eine Austuchung,
die reibt oder Geräusche erzeugt, sind ungeeignet. Schließlich
gehören zu einer kompletten Mechanik verschieden-artige Drähte,
Federn und vor allem zahlreiche Schrauben. Wie die Mechanik zu
regulieren ist, beschreibt ausführlich der Ab-schnitt über
die Bauphasen eines Flügels (vgl. Abschnitt 4.4.). Ihre grundsätzliche
Arbeitsweise muß jedoch vorher erläutert werden; wobei
die hier verwendete Terminologie mit »vorn« grundsätzlich
den zum Pianisten weisenden Teil kennzeichnet. Mit »hinten«
werden alle Punkte bezeichnet, die im Flügelkasten gelagert
sind. Jede Taste hat hinter dem Waagebalkenloch eine grol3köpfige
Messingschraube. Man nennt sie Pilote (36) - siehe Bild 15/1.
Ein Anschlag der Taste wird von der Pilote auf den gepolsterten
Sattel des Hebegliedes (9, 10) übertragen. Dieses gesamte
Unterglied wird emporgetragen. Es nimmt die an ihm pendelnd angebrachte
recht- bis stumpfwinklige Stoßzunge (11) mit hinauf bis
zu jenem Punkt, an dem der vorstehende kurze Teil, die Stoßzungennase,
an die Auslösepuppe (24) stößt. Im gleichen Augenblick
koppelt das andere Ende der Stoßzunge vom Hammerröllchen
(6) ab, das durch die vorherige Beschleu-nigung mit dem Hammer
in die Höhe getrieben wurde. Dieses Ausweichen der Stoßzunge
unter der Hammerrolle nennt man »Auslösen«, das
zu einem genau berechneten und einstell-baren Moment erfolgen
muß. Andernfalls bliebe der Hammer-kopf an die Saite gepreßt
und würde den Ton nicht klingen las-sen. Nach präzis
erfolgter Auslösung jedoch schlägt der Hammer die Saite
nur kurz an und fällt sofort in einen belederten Fänger
(37), der am Ende aus der Taste emporragt. Vorausgesetzt, der
Spieler hat in diesem Augenblick die Taste noch nicht völlig
losgelassen, so könnte er seinen Anschlag be-liebig oft und
schnell wiederholen (repetieren). Das Hammer-röllchen ruht
in dieser Phase eines gerade beendeten Anschlags auf dem Repetierschenkel
(12), und in dessen Schlitz kann die Stoßzunge immer wieder
korrekt unter das Röllchen rutschen. Erst wenn die Taste
losgelassen wird, gehen alle Hebel in die Grundstellung zurück.
Der Repetierschenkel könnte aber seine Arbeit nicht verrichten,
wenn er nicht durch die Kraft der Feder (13) dazu befähigt
würde. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, optimale Ergebnisse
zu er-zielen, wobei sich zwei Systeme herauskristallisiert haben:
mit einfacher oder mit doppelter Feder. Die Urform der Repetitionsfeder
hat der Klavicrbauer Sebastian Erard eingeführt.
Bild 4 Schematische Dar-stellung einer Flügelmechanik
mit Doppelfeder |
Zur kräftigen Doppelfeder vervollkommnet wurde
sie von seinem Landsmann J-Ienri Herz, der sich als Pianist und
Klavierfabrikant gleichermaßen einen Namen machte. Mit Beginn
ihrer großen Flügelproduktion übernahmen Stein
way & Sons die Doppelfeder (Bild 4) in ihre Mechani-ken
und haben sie bis heute beibehalten. Eine solche Feder-anordnung
ist nicht unproblematisch. Der obere Teil drückt erheblich
unter den Repetierschenkel und hat dort eine starke Reibung. Deshalb
ist diese Stelle immer gut zu beobachten und zu graphitieren oder
mit anderen Mitteln gleitfähig zu halten. Recht unbequem
gestaltet sich zudem das Regulieren dieser Fe-der, das man nur
sehr umständlich mit einem speziellen Feder-haken bewerkstelligen
kann. Hierbei darf der Draht auf keinen Fall geknickt werden.
Auch ein zu scharfes Ausmassieren nimmt ihm die Spannkraft. Wie
in Bild 4 gezeigt, muß man sie vor-sichtig behandeln.
Deshalb bevorzugen viele Fliigelhersteller die Mechanik mit einer
langen, modernisierten Erard-Feder. Hier-bei greift das größere
Stück bei der Stoßzunge an, und ein relativ kurzes
Ende wirkt aufdenRepetierschenkel.An dieserStelle kann die Federkraft
durch ein gut zugängliches Schräubchen mit handelsüblichem
Werkzeug problemlos reguliert werden. Die lange Feder ist so geschmeidig,
daß der Rückfall der Stoß-zunge nahezu unfühlbar
vor sich geht. Allerdings soll man diese Feder mit zu starkem
Nachspannen durchdrücken können, was bei allen entsprechenden
Tests aber keineswegs beobachtet wurde. Denn bei zu straffer Einstellung
würde die Stoßzunge mit einen Ruck unter das Hammerröllchen
springen, und das ist nicht zulässig. Wegen dieser Erscheinungen
in den oben beschriebenen Syste-men haben verschiedene Konstrukteure
nach anderen Wegen ge-sucht, Auslösung und Repetition präzise
und für die Hand des Spielers wenig fühlbar zu gestalten.
Der Entwurf einer federlosen Mechanik ist gescheitert. Aber der
süddeutsche Mechaniken-Hersteller Keller hat schon lange
vor dem zweiten Weltkrieg er-folgreich versucht, Schraubenfcdern
(fälschlich oft Spiralfeder genannt) einzusetzen, bzw. den
oberen Teil der herz-Doppel-feder ebenfalls durch eine Schraube
regulierbar zu machen. In modifizierter Form gibt es diese Doppelfeder
mit Schraubjustie-rung (kurz nach 1980 patentiert) beim Braunschweiger
Herstel-ler Schimmel und seinen Modellen Erard, Gaveau und PleyeI.
Bild 4/2. Schema der Mechanik mit langer Einzelfeder und
Re-gulierschraube |
Die bekanntesten Produzenten in Europa, Femming-Mechanik-Modelle
(Leipzig) und Renner-Mechanik (Stuttgart), bauen seit Jahrzehnten
äußert erfolgreich Systeme mit der einfachen Feder,
die man mit jedem einschlägigen Kleinschraubenzieher nachstel-len
kann (Bild 4/2).
Für die Herstellung der einzelnen Mechanikfiguren
hat es in letzter Zeit an Reformversuchen nicht gefehlt. Insbesondere
wurde die Einführung von Plast-Werkstoffen in den Mechani-kenbau
forciert. Piano-Getriebe findet man heute schon mit vie-len Teilen
aus synthetischem Material, wie Kapseln, .Dämpfer-arme, Auslösepuppen,
Piloten und sogar Stoßzungen. - In den Flügel hat die
Plast-Mechanik bisher kaum Eingang gefunden. Dies hat einige beachtenswerte
Gründe, die bei der Betrachtung entsprechender Pianino-Meclianiken
untersucht werden.
Moderne Flügelmechaniken
In den neuzeitlichen waagerecht angeordneten Klavierinstrumenten,
die im deutschen Sprachraum Flügel heißen, wird ausschließlich
die moderne Repetitionsmechanik angewandt. Sie hat sich aus jenen
Anschlagsapparaturen entwickelt, die in diesem Buch in den Abschnitten
über die Erfinder des Hammerklaviers, wie Cristofori und
Schröter, beschrieben sind. Später wurden sie unter
der Bezeichnung Englische bzw. Wiener Mechanik be-kannt. Die Urform
dieses Apparates machte naturgemäß eine Reihe von Veränderungen
und Verbesserungen mit, ehe er den heutigen Stand erreichte. Die
wesentlichste Station ist 1821. Sebastian Erard, Paris, bildete
die Repetitionsmechanik so aus, daß die Finger des Spielers
die Taste zu neuem Anschlag nicht mehr völlig verlassen müssen.
So ist es bis heute geblieben: Die Doppelrepetitionsmechanik beherrscht
nahezu unumschränkt den modernen Flügel.