Fundamentals of Piano Practice
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Stimmen des Klaviers
Temperatur und Musik
Temperatur und Musik
Der mathematische Ansatz ist nicht die Art, wie die chromatische Tonleiter
entwickelt wurde. Musiker begannen zunächst mit Intervallen und versuchten,
eine Tonleiter mit einer minimalen Anzahl Noten zu finden, die diese Intervalle
erzeugen würde. Die Erfordernis einer minimalen Anzahl von Noten
ist offensichtlich wünschenswert, weil diese die Anzahl der Tasten,
Saiten, Löcher, usw. bestimmt, die für die Konstruktion eines
Musikinstruments notwendig ist. Intervalle sind notwendig, denn wenn man
mehr als eine Note gleichzeitig spielen möchte, werden diese Noten
für das Ohr unangenehme Dissonanzen erzeugen, außer wenn sie
harmonische Intervalle sind. Der Grund, warum Dissonanzen so unangenehm
für das Ohr sind, hat eventuell etwas mit der Schwierigkeit zu tun,
mit dem Gehirn dissonante Informationen zu verarbeiten. Es ist sicherlich
hinsichtlich des Gedächtnisses und Verständnisses leichter,
sich mit harmonischen Intervallen als mit Dissonanzen zu befassen, wobei
es bei einigen davon für die meisten Menschen fast unmöglich
ist, herauszufinden, ob zwei dissonante Noten gleichzeitig gespielt werden.
Deshalb wird es, wenn das Gehirn mit der Aufgabe komplexe Dissonanzen
zu erkennen überlastet ist, unmöglich zu entspannen und die
Musik zu genießen oder die musikalische Idee zu verfolgen. Sicherlich
muß jede Tonleiter gute Intervalle erzeugen, wenn wir fortgeschrittene,
komplexe Musik komponieren sollen, die mehr als eine Note gleichzeitig
erfordert.
Die optimale Anzahl Noten in einer Tonleiter stellte sich als 12 heraus.
Leider konnten Musiker keine 12-notige Tonleiter finden, die überall
reine Intervalle erzeugte. Musik würde besser klingen, wenn eine
Tonleiter, die nur aus reinen Intervallen besteht, gefunden werden könnte.
Viele solche Versuche wurden bereits unternommen, hauptsächlich durch
das Erhöhen der Notenanzahl je Oktave, besonders bei Gitarren und
Orgeln, aber keine dieser Tonleitern hat eine Akzeptanz erreicht [zumindest
in der "westlichen" Musik, in der Musik anderer Kulturen gibt
es durchaus Tonleitern mit mehr als 20 Tönen je Oktave]. Es ist relativ
leicht, die Zahl der Noten mit einem gitarrenähnlichen Instrument
zu erhöhen, weil man nur Saiten und Bünde hinzufügen muß.
Die neuesten Verfahren, die heute entwickelt werden, beziehen computergenerierte
Tonleitern mit ein, bei denen der Computer die Frequenzen bei jeder Transposition
justiert; dieses Verfahren wird adaptives Stimmen (Sethares) genannt.
Das grundlegendste Konzept, das benötigt wird um Temperaturen zu
verstehen, ist das Konzept des Quintenzirkels. Nehmen Sie, um einen Quintenzirkel
zu beschreiben, eine beliebige Oktave. Beginnen Sie mit der tiefsten Note
und gehen Sie in Quinten aufwärts. Nach zwei Quinten kommen Sie über
diese Oktave hinaus. Wenn das geschieht, gehen Sie eine Oktave nach unten,
so daß Sie weiter in Quinten aufwärts gehen können und
immer noch in der ursprünglichen Oktave bleiben. Machen Sie das für
zwölf Quinten und Sie werden bei der höchsten Note der Oktave
ankommen! D.h. wenn Sie mit C4 anfangen, kommen Sie am Ende zu C5, und
deshalb wird es ein Zirkel [lat. circulus=Kreis] genannt. Nicht nur das,
sondern jede Note, auf die Sie treffen wenn Sie die Quinten spielen, ist
eine andere Note. Das bedeutet, daß der Quintenzirkel jede Note
trifft und das nur einmal, was eine nützliche Schlüsseleigenschaft
für das Stimmen der Tonleiter ist und dafür, sie mathematisch
zu untersuchen.
Historische Entwicklungen sind ein zentrales Thema der Diskussionen über
Temperaturen, weil die Musik aus einer Zeit mit der Temperatur aus dieser
Zeit verbunden ist. Pythagoras wird zugeschrieben, daß er ungefähr
550 v. Chr. unter Benutzung des Quintenzirkels die "Pythagoräische
Stimmung" erfunden hat, bei der die chromatische Tonleiter durch
das Stimmen mit reinen Quinten erzeugt wird. Die zwölf reinen Quinten
im Quintenzirkel bilden keinen exakten Faktor 2. Deshalb ist die letzte
Note, die man bekommt, nicht genau die Oktavnote, sondern ist in der Frequenz
um den Wert zu hoch, den man "Pythagoräisches Komma" nennt,
d.h. ungefähr 23 Cent (ein Cent ist ein Hundertstel eines Halbtonschritts).
Da eine Quarte und eine Quinte eine Oktave bilden, resultiert die Pythagoräische
Stimmung in einer Tonleiter mit reinen Quarten und Quinten, wobei man
allerdings am Ende eine sehr schlechte Dissonanz bekommt. Es stellt sich
heraus, daß mit reinen Quinten zu stimmen, zu unreinen Terzen führt.
Das ist ein weiterer Nachteil der Pythagoräischen Stimmung. Wenn
nun jemand stimmen sollte, indem er jede Quinte um 23/12 Cent zusammenzieht,
dann hätte er am Ende genau eine Oktave, und das ist eine Möglichkeit,
eine ET Tonleiter zu stimmen. Wir werden im Abschnitt über das Stimmen
tatsächlich solch eine Methode benutzen. Die ET Tonleiter war schon
ca. 100 Jahre nach der Erfindung der Pythagoräischen Stimmung bekannt.
Deshalb ist die ET keine "moderne Temperatur".
Alle neueren Temperaturen, die auf die Einführung der Pythagoräischen
Stimmung folgten, waren Bemühungen, diese zu verbessern. Die erste
Methode war, das Pythagoräische Komma zu halbieren und es auf die
beiden letzten Quinten zu verteilen. Eine wichtige Entwicklung war die
mitteltönige Stimmung, bei der die Terzen statt der Quinten rein
gemacht wurden. Musikalisch spielen Terzen eine herausragendere Rolle
als die Quinten, so daß die mitteltönige Stimmung sinnvoll
war, besonders in einer Zeit, in der die Musik mehr Gebrauch von den Terzen
machte. Unglücklicherweise hat die mitteltönige Stimmung eine
Wolfsquinte, die schlimmer als die der Pythagoräischen Stimmung ist.
Der nächste Meilenstein wird von Bachs "Das Wohltemperirte
Clavier" markiert, in dem er Musik für verschiedene Wohltemperierte
Stimmungen (WT) geschrieben hat. Das waren Temperaturen, die einen Kompromiß
zwischen mitteltöniger und pythagoräischer Stimmung darstellten.
Dieses Konzept funktionierte, weil die pythagoräische Stimmung zu
hoch endete, während die mitteltönige zu tief endete. Außerdem
boten die WT nicht nur die Möglichkeit guter Terzen, sondern auch
von guten Quinten. Die einfachste WT wurde von Kirnberger, einem Schüler
Bachs, entworfen. Der größte Vorteil der Temperatur von Kirnberger
ist ihre Einfachheit. Bessere WTs wurden von Werckmeister und von Young
entwickelt. Wenn wir die Stimmungen allgemein in mitteltönig, WT
und pythagoräisch einteilen, dann ist ET eine WT, weil ET weder erhöht
noch erniedrigt ist. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, welche
Temperatur(en) Bach benutzte. Wir können die Temperatur(en) nur anhand
der Harmonien in seinen Kompositionen vermuten, insbesondere seines "Wohltemperierten
Klaviers", und diese Studien zeigen, daß im Grunde alle Details
des Temperierens bereits zu Bachs Zeiten (vor 1700) bekannt waren, und
daß Bach eine Temperatur benutzte, die sich von der von Werckmeister
nicht sehr unterschied.
Die Violine scheint einen Vorteil aus ihrem einzigartigen Aufbau zu ziehen,
um diese Temperatur-Probleme zu umgehen. Die leeren Saiten bilden miteinander
Quint-Intervalle, so daß sie von Natur aus pythagoräisch gestimmt
ist. Da die Terzen immer rein gespielt werden können, hat sie alle
Vorteile der pythagoräischen, mitteltönigen und WT-Stimmung,
und weit und breit ist keine Wolfsquinte in Sicht!
In den letzten ca. 100 Jahren wurde ET fast überall akzeptiert.
Deshalb werden die anderen Temperaturen im allgemeinen als "historische
Temperaturen" klassifiziert, was klar ein falsche Bezeichnung ist.
Der historische Gebrauch der WT führte zu dem Konzept der Tonart-Farbe,
bei dem jede Tonart in Abhängigkeit von der Stimmung der Musik besondere
Farbe verlieh, und zwar hauptsächlich durch die kleinen Verstimmungen,
die "Spannung" und andere Effekte erzeugen. Das komplizierte
die Lage, weil nun die Musiker sich nicht nur mit reinen Intervallen und
Wolfsquinten befassen mußten, sondern auch mit Farben, die nicht
so leicht zu definieren waren. Das Ausmaß, in dem die Farben herausgebracht
werden können, hängt vom Klavier, dem Pianisten und dem Zuhörer
genauso ab wie vom Stimmer. Beachten Sie, daß der Stimmer die Streckung
(s. "Was ist Streckung" am Ende von Abschnitt 5) mit der Temperatur
verbinden kann, um die Farbe zu kontrollieren. Nachdem man Musik gehört
hat, die auf einem Klavier gespielt wird, das WT gestimmt ist, klingt
ET eher trüb und farblos. Deshalb ist die Farbe der Tonart wichtig.
Wichtiger sind die wundervollen Klänge von reinen (gestreckten) Intervallen
bei WT. Auf der anderen Seite gibt es in den WTs immer eine Art von Wolfsquinte,
die bei der ET reduziert ist.
Zum Spielen der meisten Musik, die um die Zeit von Bach, Mozart und Beethoven
komponiert wurde, ist WT am besten geeignet. So hat Beethoven z.B. Akkorde
für die dissonanten Nonen im ersten Satz seiner Mondschein-Sonate
gewählt, die in WT am wenigsten dissonant sind, und welche in ET
viel schlechter sind. Diese großen Komponisten waren sich der Temperatur
genauestens bewußt. Die meisten Werke aus der Zeit von Chopin oder
Liszt wurden im Hinblick auf ET komponiert, so daß die Tonart-Farbe
kein Thema ist. Obwohl diese Kompositionen für das geschulte Ohr
in ET und WT unterschiedlich klingen, ist nicht klar, daß gegen
WT etwas einzuwenden ist, weil reine Intervalle immer besser klingen als
verstimmte.
Meine persönliche Ansicht hinsichtlich des Klaviers ist, daß
wir von ET abkommen sollten, weil sie uns eines der angenehmsten Aspekte
der Musik beraubt - reinen Intervallen. Sie werden eine dramatische Demonstration
davon erleben, wenn Sie den letzten Satz von Beethovens Waldstein-Sonate
in ET und WT hören. Mitteltönige Stimmung kann ziemlich extrem
sein, es sei denn Sie spielen Musik dieser Periode (vor Bach), so daß
uns die WTs bleiben. Hinsichtlich der Einfachheit und der leichten Stimmbarkeit
ist Kirnberger nicht zu schlagen. Ich glaube, daß wenn Sie sich
an WT gewöhnt haben, ET nicht genauso gut klingen wird. Deshalb sollte
die Welt die WTs zum Standard erheben. Welche man auswählt, macht
für die meisten Menschen keinen großen Unterschied, weil diejenigen,
die nicht in den Temperaturen ausgebildet sind, im allgemeinen keinen
großen Unterschied zwischen den hauptsächlichen Temperaturen
bemerken, geschweige denn zwischen den unterschiedlichen WTs. Das soll
nicht heißen, daß wir alle Kirnberger benutzen sollten, sondern
daß wir in den Temperaturen ausgebildet werden sollten und eine
Wahl haben sollten, anstatt in die Zwangsjacke der farblosen ET gesteckt
zu werden. Das ist nicht nur eine Frage des Geschmacks oder die Frage,
ob die Musik besser klingt. Wir sprechen darüber, unsere musikalische
Sensibilität zu entwickeln und zu wissen, wie man diese wirklich
reinen Intervalle benutzt. Ein Nachteil von WT ist, daß es hörbar
wird, wenn das Klavier auch nur ein wenig verstimmt ist. Es würde
mich jedoch freuen, wenn alle Klavierschüler ihre Sensibilität
bis zu dem Punkt entwickeln würden, an dem sie bereits erkennen können,
wenn das Klavier auch nur ein wenig verstimmt ist.
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